Der Beginn des Zweiten Weltkriegs wird hierzulande mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 gleichgesetzt. Das ist eine sehr europäische Perspektive. Aus amerikanischer Sicht wird in der Regel der 7. Dezember 1941 genannt, als japanische Flugzeuge die US-Pazifikflotte in Pearl Harbor versenkten und Amerika in den Krieg eintrat. Oder der 13. Dezember 1937, als mit dem "Nanking Zwischenfall" der chinesisch-japanische Krieg eine neue Dimension erhielt. Afrikanische Historiker nennen noch ein anderes Datum: den 3. Oktober 1935, als italienische Truppen Äthiopien überfielen.
Zu den damals beteiligten Generälen gehörte Rudolfo Graziani, der wie wenige für den Traum seines Diktators Mussolini von der Wiedererrichtung des römischen Weltreichs steht. In Grazianis Karriere spiegelt sich gleichsam der aggressive Geist der faschistischen Diktatur. Umso erstaunlicher ist es, dass man ihm im Italien der Gegenwart wieder Denkmäler weiht – mit allem Pomp und mit öffentlichen Mitteln.
Den Gegner "total erobern"
Graziani, 1882 in Latium geboren, hatte eigentlich Priester werden sollen. Stattdessen wurde er Soldat und verdiente sich seine ersten Sporen in dem Krieg, den Italien 1912 gegen das Osmanenreich führte und dabei das heutige Libyen unter seine Kontrolle brachte. In den Materialschlachten des Ersten Weltkrieges zeichnete sich Graziani immerhin so weit aus, dass er zum jüngsten Obersten der Armee befördert wurde. Weitere Verwendungen in schmutzigen Kolonialkriegen in Nordafrika folgten.
Grazianis große Stunde schlug, als er 1935 den Oberbefehl über die Armee übernahm, die von Italienisch-Somalia aus in das Gebiet des Negus einmarschieren sollte, während von Norden eine andere den Stoß aus Eretria führte. Dabei führte er den Befehl Mussolinis, den Gegner "total zu erobern" und "zu vernichten" mit brutaler Konsequenz aus. Seine modernen Waffen setzte er nicht nur gegen die Krieger des Kaisers, sondern auch hemmungslos gegen die Zivilbevölkerung ein.
Mit rund 250.000 europäischen Soldaten und zahlreichen Truppen aus ihren Kolonialgebieten überrannten die Italiener das Land, das sich so lange dem kolonialen Zugriff hatte entziehen können. Das wurde ihm jetzt zum Verhängnis. Denn weder Frankreich noch England reklamierten Äthiopien als ihre Interessensphäre. Sie bemühten sich vielmehr, Mussolini nicht noch stärker an die Seite des erstarkenden Hitler-Deutschlands zu drängen.
Tausende Geiseln wurden erschossen
1936 wurde Graziani zum Marschall von Italien und allmächtigen Vizekönig von Äthiopien ernannt. Nach einem Attentat auf seine Person am 19. Februar 1937 zeigte er, was in ihm steckte. Er ließ Tausende von Geiseln erschießen, verwüstete ganze Landstriche, errichtete Konzentrationslager für Zehntausende von Zivilisten, gegen die er sich nicht scheute, Giftgas einzusetzen.
Mussolinis Propaganda bemühte sich nach Kräften, Graziani als Vollstrecker der faschistischen Order darzustellen: "Wir pfeifen auf alle Neger der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft und deren eventuelle Verteidiger. Es wird nicht lange dauern und die fünf Erdteile werden ihr Haupt vor dem faschistischen Willen beugen müssen."
Bis heute kann die Zahl der Opfer Grazianis nur geschätzt werden. Zwischen 150.000 und 700.000 toten Äthiopiern schwanken die Schätzungen. Historiker haben Grazianis Regentschaft eine "Schreckensherrschaft" genannt, "für die es in der Kolonialgeschichte Afrikas und Asiens keine Vorbilder gab" (Aram Mattioli).
Italiens Militärmacht wurde ruiniert
Doch als es darauf ankam, das nordafrikanische Imperium gegen Großmächte zu verteidigen, versagte Graziani kläglich. Nach Mussolinis Kriegserklärung vom 10. Juni 1940 an Frankreich und England überrannten britische Truppen weite Teile Libyens. Mit ihrer Unterstützung gewann Kaiser Haile Selassie I. bis 1941 sein Land zurück. Nur dem deutschen Afrikakorps unter General Erwin Rommel verdankte es Graziani, den Mussolini inzwischen zum Generalstabschef, Oberkommandierenden in Afrika und Generalgouverneur in Libyen befördert hatte, dass die italienische Herrschaft nicht umgehend zusammenbrach. 1941 fiel er daher in Ungnade und wurde abberufen.
Längst hatte sich gezeigt, dass die Kriege in Afrika und das Engagement im Spanischen Bürgerkrieg die militärischen Ressourcen Italiens weitgehend ruiniert hatten. Doch diese Einsicht, wenn er sie denn gehabt hatte, reichte nicht aus, Graziani aus seiner ideologischen Verblendung zu reißen.
Als im Juli 1943 der "Große Faschistische Rat" Mussolini absetzte, übernahm er den Oberbefehl über die Truppen der "Repubblica Sociale Italiana", wie sich die faschistische Restrepublik Mussolinis nannte. Bis zur Hinrichtung seines "Duce" im April 1945 führte Graziani einen brutalen Endkampf. Dann ergab er sich den Alliierten und signierte die Kapitulation.
Mythos von der Resistenza
Mit seinem fanatischen Durchhaltewillen beförderte Graziani gleichwohl einen Mythos, der ihn jetzt wieder in die Tagespolitik zurückführt. Denn je heftiger sich das faschistische Terrorregime zur Wehr setzte, desto stärken mobilisierte es die Kräfte der Resistenza. Mit ihr aber verwob sich bald der nationale Konsens, nicht ein Kollaborateur in Hitlers Krieg, sondern ein Partner der alliierten Sieger gewesen zu sein.
Entsprechend oberflächlich fielen Abrechnung und Aufarbeitung des faschistischen Regimes aus. Bald schon wurde Graziani begnadigt. Beim neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) fand er eine Heimstadt, der ihn sogar zum Ehrenvorsitzenden machte. 1955 starb er in Rom.
Während Italiens Politiker und öffentliche Meinung in ihrer Abneigung gegen Angela Merkels "Viertes Reich" einmal mehr zueinander gefunden haben, widerfährt Graziani zu seinem 130. Geburtstag eine große Ehre. In Affile, wo der schwarze Marschall seine letzten Jahre verbrachte, wurde zu seinem Gedenken ein Denkmal inklusive Museum errichtet. 130.000 Euro wurden dafür aus den Mitteln der Kommune und der Region Latium aufgebracht, Spenden erbrachten ein Übriges.
Druckmittel gegen Euro-Partner
Seit Jahren hatte der Bürgermeister des Ortes die Planungen für das Ehrenmal seines prominenten faschistischen Mitbürgers vorangetrieben. Angesichts des Stimmenanteils, dessen sich die rechtspopulistischen oder neofaschistischen Parteien in Italien erfreuen, fällt denn auch der öffentliche Protest überschaubar aus. Wieder einmal rächt sich die vertane Chance historischer Aufarbeitung nach 1945. Hinzu kommt, dass Graziani für das einzige militärische Abenteuer Italiens im Zweiten Weltkrieg steht, das seinerzeit als Erfolg hatte verbucht werden können.
Bei soviel nationaler Begeistung geht vielleicht der Blick dafür verloren, dass ein faschistisches Monument als moralisches Druckmittel gegenüber dem deutschen Euro-Partner kaum geeignet ist.